Ins perfekte Licht gerückt Ins perfekte Licht gerückt

Ein Gespräch mit Sebastian Hilgetag

Ein Gespräch mit Sebastian Hilgetag

Modefotografie trifft Outdoor-Leben: Das beeindruckende Portfolio des Berliner Fotografen Sebastian Hilgetag offenbart zahlreiche Aufnahmen attraktiver, selbstbewusster Frauen. Vergleicht man die stimmungsvollen Bilder mit seinen wilden Natur-Fotografien, stellt man fest, dass natürliche Lichtverhältnisse in allen seinen Arbeiten eine entscheidende Rolle spielen.

Wir wollten mehr über den Mann hinter diesen faszinierenden Bildern erfahren und sprachen mit Sebastian über seine fotografische Entwicklung, den Unterschied zwischen Momentaufnahme und Fotografie und darüber wie Berlin als Lebensmittelpunkt sein Schaffen beeinflusst.

Erzähl uns mehr über deine Entwicklung als Künstler. Wann hast du angefangen, Fotos zu machen und wie hast du es dahin geschafft, wo du heute bist?

Als ich 2009 mein Designstudium anfing, begann ich, im kreativen Bereich zu arbeiten. Zu dieser Zeit fing ich auch an, meine Fotografie ernster zu nehmen. Natürlich besaß ich auch vorher Kameras und liebte es, Fotos zu machen und zu bearbeiten. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was genau ich da machte. Ich denke, das Designstudium hat mir sehr geholfen, nicht nur die ästhetischen Grundlagen zu verstehen, sondern auch die Marketing-Hintergründe und die Zielgruppen.

Nach dem Abschluss meiner Masterarbeit zog es mich mehr in die Modefotografie, wo ich viel mit Modelagenturen, Designern und Set-Visagisten zusammenarbeitete. Damals fand ich auch meine ersten Kunden. Schritt für Schritt begann ich, meine Fotografie zum Beruf zu machen und hörte auf, als freischaffender Visual Designer für Agenturen zu arbeiten, um mich als Fotograf zu etablieren. Bis heute versuche ich, mein Portfolio immer weiter zu entwickeln. In der Fotografie hört das Lernen nie auf, da es sich dabei um ein so trendorientiertes Arbeitsgebiet handelt.

Beschreibe dein Leben in Berlin. Wie beeinflusst und formt dich die Stadt?

Ich würde sagen, das Leben in Berlin hat zwei Seiten. Ich denke, Berlin ist meine deutsche Lieblingsstadt und ich liebe die Atmosphäre – besonders im Sommer. Es ist wunderschön. Ich liebe es, dass du in Berlin irgendwie frei sein kannst. Die Menschen hier sind zwar immer noch voreingenommen, aber irgendwie sind sie extravaganter und führen einen anderen Lebensstil. Diese Aufgeschlossenheit half mir, mich als Fotograf und Künstler zu entwickeln. Außerdem kann man in Berlin viele interessante Menschen beobachten. Und besonders in den frühen Morgenstunden und am späten Nachmittag ist Berlin in schönes Licht getaucht. Ich habe ein Atelier mit tollem Tageslicht und arbeite sehr gerne dort.

Auf der anderen Seite macht es mich traurig, dass Berlin so verheizt wird. Es ist seltsam, dass die Politik so wenig tut, um die Kunstszene in der Kreativhauptstadt Deutschlands zu schützen, obwohl sie von ihrem Ruf profitiert. Als ich noch ein Kind war, war Berlin ein roher Diamant mit einer lebendigen Underground-Szene. Es gab viele interessante Orte zu entdecken, fantastische Clubs überall, schöne Häuser, in denen Künstler ihre Ateliers hatten. Momentan wird alles von Großinvestoren zerstört, die sich nicht um Kunst und Kultur kümmern, sondern nur Profit aus der Stadt und ihren Gebäuden machen wollen. Außerdem kommen immer mehr Künstler nach Berlin, versuchen hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen und zerstören den Markt und die Preise, indem sie für fast nichts arbeiten.

Wir lieben dein Zitat: “Die erste Phase eines Projekts wird immer darin bestehen, eine starke und einzigartige Idee zu finden.”. Erzähl uns mehr über deinen kreativen Prozess.

Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich einen stark durch Design-Dienstleistungen geprägten Hintergrund. Dadurch denke ich zuerst an Zielgruppen und Konzepte. Natürlich ist es auch mal wichtig, zu experimentieren. Daher hatte ich in den letzten Jahren viele kleine Test-Shoots mit Models. Aber momentan sind meine Projekte so umfangreich, dass ich erstmal einen Plan brauche, bevor ich mit den Shootings beginne. Der erste Schritt ist dabei Inspiration und Ideenfindung: Ich brauche etwas, ein Objekt oder eine Stimmung, die mich inspirieren. Dann folgt die Konzeption des Shootings, wo ich aus der Inspirationsquelle eine Geschichte entwickle. Erst dann beginne ich mit der Ausführung, zu der auch Aufnahmen und Postproduktion zählen.

Licht- und Farbeffekte spielen in vielen deiner Arbeiten eine entscheidende Rolle. Welche Bedeutung haben sie für dich als Fotograf?

Das stimmt – obwohl das für mich der Punkt ist, an dem man zwischen einem Foto und einem Schnappschuss unterscheiden muss. Wir machen kontinuierlich Momentaufnahmen mit unseren Handys oder auch professionellen Kameras. Aber wenn man Licht und Farben bewusst einsetzt, entsteht ein Foto, das die Menschen ganz anders schätzen. Ich liebe es, mit natürlichem Licht zu spielen. Ich liebe die Stimmung, die man erzeugen kann, wenn man es richtig angeht. Für mich als Fotograf ist das enorm wichtig. Sobald du verstanden hast, dass es beim Fotografieren darum geht, reflektierendes Licht von Objekten einzufangen, siehst du die Dinge vollkommen anders.

Als Mode- und Werbefotograf hast du für große Marken wie Nike, Vogue oder Vice gearbeitet. Was war dein bisher spannendstes Projekt und warum?

Ich muss sagen, dass meine Lieblingsprojekte nicht diejenigen mit den großen Namen sind, sondern diejenigen, wo ich kreative Freiheiten habe oder mit einem Team aus Menschen zusammenarbeite, die die gleichen Sichtweisen haben wie ich. Mit meinem Hintergrund als Designer, der sich auf Branding, Konzeptionen und Marketing konzentriert, mag ich es einfach, wenn der Kunde mir in Bezug auf die visuelle Sprache seiner Marke vertraut. In der Regel ist das bei kleineren, aufstrebenden Marken der Fall. Irgendwie liebe ich es, die Rolle des Creative Directors zu übernehmen und meine Ideen umzusetzen, da ich dadurch eine stärkere Verbindung zu den Ergebnissen aufbaue. Im Moment bin ich Teil eines solchen Projekts für eine aufstrebende Schuhmarke und die Arbeit für sie ist wirklich erfüllend.

Stell dir eine Welt ohne Grenzen vor. Welches Traummotiv oder welchen Ort würdest du gerne ablichten und warum?

Das ist eine interessante Frage! Es gibt viele Orte auf meiner Liste, die ich noch nicht besucht habe. Obwohl keiner von ihnen nicht erreichbar ist. Ich würde aber gerne mal ein Foto von einem Wal im Meer machen. Ich finde diese riesigen Lebewesen faszinierend und denke an diese schöne Komposition mit blauem Wasser, das den Wal umhüllt.

Auf welches Foto in deiner JUNIQE-Kollektion bist du am stolzesten und warum?

Das ist schwer, denn ich liebe alle meine Fotos, die bei JUNIQE zu kaufen sind. Besonders stolz bin ich aber auf “Helen IV”. Ich liebe die Stimmung, die Helen und ich hier geschaffen haben. Es ist genau das Spiel von Licht und Schatten, das ich bereits erwähnt habe. Wir haben dieses Bild 2017 an einem bewölkten Tag in Berlin aufgenommen. Helen kam gerade aus New York und wir haben das Foto in ihrer Wohnung aufgenommen. Die Art, wie sie vom Licht eingehüllt wird, während andere Teile im Schatten liegen, ist genau das, was mir hier wichtig war. Dadurch wirkt sie so stark und zugleich mysteriös.

Dieses Bild macht mich aus mehreren Gründen stolz. Ich bin stolz darauf, dass meine Freundin Helen, die professionelles Model ist, mir vertraut hat, so intime Fotos von ihr zu machen. Und, dass sie mir vertraut hat, dass das Ergebnis sie auf eine schöne Weise darstellt, die ihr auch selbst gefällt. Ich wollte Nacktfotos machen, die starke und selbstbewusste Frauen zeigen, die sich wohl in ihrer Haut fühlen – ohne sie auf Objekte zu reduzieren. Außerdem wollte ich eine ganz bestimmte Atmosphäre erzeugen. Es sollten keine sexy, sondern stimmungsvolle und ästhetische Bilder entstehen. Ich denke, das ist uns gelungen.

Vertrauen und Kooperation: Für uns liegt hier das Geheimnis von Sebastians Arbeiten, die seine Modelle in all ihrer Verletzlichkeit und dabei so unendlich kraftvoll einfangen.

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Text: Laura Veneklaas

Übersetzung: Ina Schulze